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Wiegen und Messen in früheren Zeiten

14.05. - 05.11.2006

Was würden wir wohl antworten, wenn uns jemand unvermittelt fragt, „Was fällt Dir ein zum Stichwort Messen und Wiegen?“ Da uns gar nicht bewusst ist, wie und was wir messen und wiegen, würden wir gewiss einen Moment ins Grübeln kommen. Und doch ist unser Leben heute ohne Messen und Wiegen nicht mehr denkbar.

Was tun wir morgens, wenn wir aufstehen? Wir schauen auf die Uhr um zu wissen, wie spät es ist; die Uhr misst die Zeit. Doch bis zu unserer heutigen Zeituhr war es ein langer Weg. Am Anfang stand vor etwa 7.000 Jahren die von den Sumerern im Zweistromland Euphrat und Tigris (heute der Irak) benutzte Sonnenuhr. Erst vor rd. 700 Jahren begann die Einteilung des Tages in zweimal 12 gleich lange Stunden und vor rd. 500 Jahren baute Peter Henlein in Nürnberg die erste tragbare Taschenuhr mit Federaufzug.


Beim Frühstücken essen wir vielleicht ein Brötchen, dessen Teig gewogen wurde, bevor es in den Backofen kam. Butter, Marmelade und anderer Brotaufstrich sind Waren, die wir nach Gewicht verpackt oder einzeln abgewogen gekauft haben. Bevor wir aus dem Hause gehen, schnell noch ein Blick auf das Thermometer am Fenster, es misst für uns die Außentemperatur. Unser Auto, das wir dann in Gang setzen, enthält etliche Messgeräte: z.B. für die Geschwindigkeit den Tachometer. Die gefahrene Strecke zeigt uns der Kilometerzähler an. Doch was ist ein Kilometer? Wer hat ihn festgelegt, bestimmt ?


Wenn wir uns krank fühlen, greifen wir zum Fieberthermometer und zum Blutdruckmessgerät. Und die notwendige Medizin wurde mit Hilfe sehr fein arbeitender Messgeräte zusammengemischt. Wenn wir eine Wohnung mieten, messen wir die Räume mit einem Zollstock aus, der heute längst nicht mehr in Zoll misst sondern in Zentimetern und Metern. Der Zollmaßstab bestimmt aber immer noch die Größe von Auto- und Fahrradreifen.

Unsere heutigen Maße und Gewichte haben eine lange, lange Entwicklungszeit hinter sich. Kennzeichnend war, dass die Maße über Jahrtausende nicht überall gleich lang / groß sondern unterschiedlich für die gleichen Sachen waren. Besonders viele unterschiedliche Maße gab es in den unzähligen Kleinstaaten und Reichsstädten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Es kam sogar vor, dass in derselben Stadt mehrere unterschiedliche Maße von der gleichen Art nebeneinander verwendet wurden.


Eines der ältesten Maße ist die Elle. Sie wurde von der Länge des Unterarmes (Ellenbogen bis zur Spitze des Mittelfingers ) abgeleitet. So gab es z.B. im alten Ägypten zwei unterschiedliche Ellen; die königliche mit 52 cm und die geringe mit 45 cm. In Braunschweig hatte die Elle 57,74 cm, in Hannover 58,42 und in Hildesheim 56,03 cm. Da hieß es für die Schneider beim Tuch einkaufen gut aufzupassen und gut zu rechnen.


Und auch der Morgen Ackerland war ebenfalls von unterschiedlicher Größe. Ursprünglich war der Morgen das Stück Land, welches man an einem Vormittag (Morgen) pflügen konnte. Abgesehen von der Qualität des Pfluges und von der Kraft des Zugtieres, war die Bodenqualität entscheidend für die Größe eines Morgen. Leichter Sandboden lässt sich schneller pflügen als schwerer Lößboden, wie wir ihn in unseren Ortschaften südlich des Kanals haben.


Die vielen unterschiedlichen Maße waren etlichen Regierenden ein Dorn im Auge weil sie die Verwaltung ihres Territoriums sehr erschwerten. So versuchte bereits Karl d. Große 807 in seinem Reich, das die Länder von Nordspanien bis an die Nordsee und an die Elbe und im Süden Bayern und Teile Oberitaliens umfasste, einheitliche Maße und Gewichte einzuführen.


Dieser Versuch misslang ebenso wie später in England, wo für das ganze Land im Jahre 1215 einheitliche Maße und Gewichte vorgeschrieben wurden. In Deutschland ergab sich zur Zeit der Regentschaft Napoleons durch die 1803 eingeleitete Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit der Überführung vieler davon betroffener Kleinstaaten in größere Mittelstaaten, dass es innerhalb dieser eine Unzahl

von unterschiedlichen Maßen und Gewichten gleicher Art nebeneinander gab. Ein Streben nach einheitlicheren Größen wird z.B. daran deutlich, dass Preußen für sein Gebiet 1816 den Fuß auf einheitlich 139,13 Pariser Linien (=31,385 cm) festlegte.

Das uns heute vertraute metrische System wurde 1868 für einen großen Teil Deutschlands, dem Norddeutschen Bund und zum 1. Januar 1872 verbindlich für das ganze Deutsche Reich eingeführt. Dadurch verschwanden jedoch nicht gleichzeitig alle alten Maße und Gewichte. Insbesondere alte Flächenmaße aus der Landwirtschaft mussten noch lange Zeit berücksichtigt werden.


Durch das Gesetz über die Ablösung der grundherrschaftlichen Lasten im Königreich

Hannover vom 18. November 1831 und durch die entsprechende Ablösungsordnung vom 22. Juli 1833 wurden die Bauern in die Lage versetzt, durch Zahlung eines Ablösungsbetrages uneingeschränkte Eigentümer des von ihnen bisher nach dem Meierrecht bewirtschafteten Grund und Bodens zu werden.


Notwendig war es auch, die Zersplitterung der Ackerflächen in den Dörfern zum Zwecke einer besseren Bewirtschaftung zu beseitigen. Außerdem sollte die Allmende, der kollektive Besitz der Landwirte, aufgeteilt und ihnen anteilig übereignet werden. Diese Spezialteilungen und Verkoppelungen wurden in großem Umfang Mitte des 19. Jahrhunderts durchgeführt, also zu einer Zeit, als es die metrischen Flächenmaße noch nicht gab.


Die Rezesse über die Teilung und Verkopplung in unseren Dörfern enthalten deshalb

Flächenmaße in Quadratruten. Diese Flächenmaße wurden deshalb noch lange benutzt. Sie waren die Grundlage für die Bewertung des Bodens z.B. für einen Verkauf oder Tausch von Flächen.


Nach einem in Letter am 12. Juni 1928 zwischen den Eheleuten Gustav und Helene Völxen (Letter Nr. 5) und dem Stellwerksmeister Christian Saakel abgeschlossenen Kaufvertrages wird eine Flächen von 40 □Ruten als Bauland an der Alten Aue verkauft zum Preise von 40 Reichsmark für eine □Rute (das waren 21,84 qm).

Nach einem Generalpachtvertrag vom 3. Mai 1949 pachtet der Bezirksverband der Kleingärtner Hannover-Land von Heinrich Bleutz in Letter eine Gartenfläche von 112 □Ruten (= rd. 2450 qm) zu einem Pachtpreis von 0,65 DM je □Rute.

In einem von mir in der 2. Hälfte der 1960er Jahre über einen Kleingarten in Letter

abgeschlossenen Pachtvertrag war die Gartenfläche immer noch in □Ruten angegeben

(Neunzig Jahre nach der verbindlichen Einführung der metrischen Maße).

Die Entwicklung zu unserem heutigen Maß- und Gewichtswesen ist geprägt worden von

etlichen Wissenschaftlern, Technologen und Fabrikanten. Für unseren niedersächsischen Raum ist da an erster Stelle der am 30. April 1777 in Braunschweig geborene Karl Friedrich Gauß zu nennen. Dieser Mathematiker und Astronom wirkte ab 1807 als Professor in Göttingen an der Universität und war gleichzeitig Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften.


Er entwickelte unter anderem neuartige, allgemeine Verfahren für seine astronomischen,

erdmagnetischen und landmesserischen Arbeiten. Auch stellte er die Formel zur Berechnung des Osterdatums auf. Zusammen mit W. Weber entwickelte Gauß Verfahren und Geräte zur Messung erdmagnetischer Größen. Man kann sagen, dass er der Begründer des absoluten physikalischen Maßsystems ist. Er starb am 23. Februar 1855 in Göttingen.


Ein Denkmal hat ihm die Bundesrepublik Deutschland gesetzt mit dem blauen 10,-DM Schein aus den 1990er Jahren, der auf der Vorderseite sein Antlitz und eine Berechnungsformel zeigt. Auf der Rückseite ist ein Winkelmessgerät (Theodolit) zur Entfernungsmessung sowie ein Liniennetz mit über Norddeutschland gelegten und aneinandergereihten Dreiecken zu sehen.


Weiter ist von Bedeutung der am 30. Juni 1822 geborene Mechaniker und Fabrikant Conrad Bube. Er gründete 1854 in Hannover eine Fabrik für physikalische Apparate und Modelle. Darin fertigte er u.a. sehr genaue Längenmaßstäbe. Diese Maßstäbe für den gewöhnlichen Werkgebrauch waren so gut, dass sie bald auch im Ausland wegen ihrer Qualität geschätzt waren.


Nach der Einführung des metrischen Systems im Norddeutschen Bund 1868 stellte er

Gliedermaßstäbe aus Holz her mit außergewöhnlich präzisen Teilungen. Für diese schnell als „Hannoversche Zollstöcke“ bekannt gewordenen und äußerst praktisch zu handhabenden Maßstäbe mit zuverlässiger und eichungsgerechter Maßeinteilung errang er auf etlichen internationalen Ausstellungen Prämien und Anerkennungen. Conrad Bube starb am 10. Januar 1894.


Zu nennen ist außerdem noch der am 17. Oktober 1803 geborene Technologe Karl Karmarsch, der zum 1. Juli 1830 als Direktor an die zwei Monate zuvor in Hannover gegründete Höhere Gewerbeschule II berufen wurde. Karmarsch gelang es, diese Schule auf- und auszubauen, so dass sie sich 1847 zur Polytechnischen Schule und 1879 zur Technischen Hochschule entwickelte, der späteren Universität Hannover.


In einer technischen Zeitschrift beklagte sich Karmarsch 1868 darüber, dass man in

Deutschland nicht 10 oder 20 Meilen reisen könne, ohne ein anderes Fußmaß, eine andere Elle, ein anderes Feldmaß, Getränk- und Fruchtmaß anzutreffen. Er war es leid, häufig mindestens 30 verschiedene gesetzlich gültige Fußmaße umrechnen zu müssen.


Karmarsch hatte die Vorteile erkannt, die das metrische System als Dezimalsystem mit sich brachte. Nur eine solche genormte Maßeinheit versprach eine optimale Fertigung von Maschinen. So setzte er sich mit Energie und Ausdauer dafür ein, das metrische Maß einzuführen. Endlich führte der Norddeutsche Bund 1868 dieses System ein, welches ab 1872 nach der Reichsgründung für ganz Deutschland galt. Karmarsch starb am 24. März 1879.


Sonderausstellung „Wiegen und Messen in früheren Zeiten“ vom 15. Mai - 1. Oktober 2006 im Heimatmuseum Seelze


Text: Karl-Heinz Pfeiffer

                                 www.heimatmuseum-seelze.de  

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